Die Grammatik der Bilder

Jürgen Kuttner und seine Videoschnipselvorträge an der Berliner Volksbühne

"Ein Bild des Jammers zeichnet dieser Sender Freies Berlin von sich selber. Das ist so grauenhaft. Auf der Bühne ist mir dann dieser Film "Free Willy eingefallen. Als der Film abgedreht war, wußten sie nicht, was sie mit dem Wal machen sollten und da beschlossen irgendwelche Naturschutzorganisationen, den Wal wieder auszuwildern. Er kam in ein Riesengatter vor der Küste Australiens, um sich langsam wieder an die Freiheit zu gewöhnen. Aber der will nicht raus aus dem Gatter. Und so einen Eindruck hast du auch von dieser Westberliner Polit- und Medienmafia. Die Mauer ist weg, die müssen ausgewildert werden, aber die traun sich nicht, die haben Angst, daß die da draußen beißen."
(Jürgen Kuttner über die Berichterstattung des SFB zu den Berliner Wahlen, Thema des XXX. Videoschnipselvortrages)

"An Kuttnerabenden lohnt es sich nicht, die Garderobe aufzumachen.", sagt die Garderobenfrau der Volksbühne und schiebt den roten Samtvorhang zu. Man könnte meinen, das läge daran, daß nur wenige Leute zu einer Veranstaltung kommen, die offiziell "Von Mainz bis an die Memel. Ein Videoschnipselvortrag", im Betriebsjargon der Volksbühne aber Kuttnerabend heißt. Das ist nicht der Grund. Es ist der 31. Videoschnipselvortrag in der Geschichte dieser Reihe, und der große Saal der Volksbühne ist bis auf den letzten Platz besetzt. Wer zum Kuttnerabend kommt, quetscht seine Jacke unter den Sitz oder läßt sie an. Auch Maske und Ankleiderin können diesen Abend freimachen. Jürgen Kuttner kommt mit den gleichen Sachen auf die Bühne, mit denen er morgens schon in der Kaufhalle war. Bevor er die Bühne betritt, beginnt der Abend mit einer Endlosschleife. Auf der Videowand erscheint das Bild "Jugendwelle Berlin" und man hört eine ins Hysterische abgleitende Stimme, die in endlos scheinender Wiederholung den Satz sagt: "Dieser Song ist für alle Soldaten around the world und besonders für die im Kosovo". Nach diesem Terror klingt das "Tach Publikum" des Moderators wie eine Erlösung. Was dann über zwei bis drei Stunden passiert, wird von Kuttner selbst mit dem lapidaren Satz: "Ick erzähle endlos und dann kommt der Videoausschnitt" beschrieben.
Eigentlich sollte der Videoschnipselvortrag eine einmalige Veranstaltung sein. 1996 lief in der Volksbühne das dreitägige Spektakel "Sieben Jahre Mauerfall". Verschiedene Regisseure inszenierten auf mehreren Bühnen Kurzdramen. Die Intendanz fragte an, ob Kuttner nicht auch einen Part bestreiten wolle. "Mir fiel nichts Substantielles ein. Und da haben die gesagt, dann zeig doch einfach Fernsehschnipsel und erzähl dazu was. Damals bin ich davon ausgegangen, daß das im ,Roten Salon' stattfindet und dachte, so Hundertmann-Entertainer, das kriege ich schon hin, mal sehn was passiert. Aber dann wurde das mehr aus Versehen ein zweistündiger Vortrag auf der Hauptbühne." Der Abend wurde aufgrund des Erfolges noch einmal wiederholt, schließlich einigte man sich, eine regelmäßige Veranstaltung daraus zu machen. Inzwischen ist sie ein Selbstläufer mit einem Drittel Stammpublikum. Genaugenommen ist es keine Ein-Mann-Show. Im Hintergrund agiert André Meier, Fernsehjournalist, Buchautor und langjähriger Freund Kuttners, mit dem er die Fernsehbilder recherchiert, schneidet und den Verlauf des Abends durchspricht. In der dunkelsten Ecke der Bühne sitzend, fungiert er mitunter als stummer Stichwortgeber.
Die These, auf denen die Videoschnipselvorträge aufgebaut sind und die sie auf subversive Weise konterkarieren, könnten Medientheoretiker in Luhmannscher Manier beschreiben. "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien". Kuttner, in der Gestalt eines kleinen Mannes mit riesiger ostberliner Schnauze, der, wenn er ein Kind wäre, wegen ständiger Rumhampelei längst mit Ritalin ruhiggestellt worden wäre, interpretiert aus dem Hintergrund seiner anderen Erfahrung als Ostdeutscher Fernsehbilder und zwingt die Zuschauer im Saal, genauer hinzusehen, auch wenn sie seine Sicht auf die Dinge nicht teilen mögen. Es ist eine Medienkommentierung, die auch immer Medienkritik aus ostdeutscher Sicht ist. "Wir haben den Vorteil der doppelten Erfahrung.
Die erste Erfahrung gilt nichts mehr, man spielt die neuen Mechanismen mit, das ist nicht schwer. Wir haben einen Erfahrungsüberschuß, der manchmal verzweifeln läßt, aber gleichzeitig ist es ein Reichtum, der dich Sachen, die anderen selbstverständlich scheinen, anders sehen läßt." Die aus der Mode gekommene Paarung von ausgeprägtem Berliner Dialekt und Intelligenz ist schon eine der ersten Verwirrungen in einer Gegenwart, in der die nachfolgende Generation von "Medienschaffenden" peinlich darauf achtet, in Kleiderordnung und Sprache nicht mehr als Ostdeutsche identifiziert zu werden. Der Trick ist Understatement. Oder, um mit Kuttner zu sprechen: "Das Prinzip ist: Aus Scheiße Trillerpfeifen machen.

Zu Beginn der Reihe vor fünf Jahren stand der Medienvergleich. Da wurden Fernsehbilder des Westens denen des Ostens entgegengesetzt. Und der Osten schnitt mitunter nicht schlecht dabei ab. "Was mir bei den Videoschnipseln aufgefallen ist, daß es ja Anfang der sechziger Jahre eine Modernität im Ostfernsehen gab, die man im Westen zu der Zeit noch nicht erreicht hatte. Der Westen war, was die Unterhaltung anging, damals noch in einer UFA-Tradition. Der Zwang zur Modernisierung fing im Westen erst mit der Studentenbewegung an. Im Osten begann es schon nach dem Bau der Mauer, stagnierte dann aber in den siebziger Jahren." Diesen Ost-West-Vergleich gibt es auch heute noch in den Vorträgen, aber mittlerweile ist er eher themenbezogen.
Mit einer atemberaubenden Redegeschwindigkeit rennt Kuttner beständig gegen die Monokausalität der Welterklärer an, ob sie nun George W. Bush oder Karl-Eduard von Schnitzler heißen. Angesichts von Renegaten und Wendehälsen mit ihrem situativen Opportunismus kann der erklärte Linke Kuttner schon mal von intelligenten Konservativen schwärmen.
"Es ist ja ein Luxus, eine Öffentlichkeit herstellen zu können, Themen zur Sprache zu bringen, wo man denkt, darüber gibt es eigentlich keine Öffentlichkeit. Das ist das Tolle am Theater. Es gibt viele Diskussionen, die mir wichtig sind, damals die Walser-Diskussion über Auschwitz, der Kosovokrieg und jetzt Afghanistan, wo man sich ja manchmal freut, wenn man einen intelligenten Artikel liest. Es gibt keine Öffentlichkeit mehr - und damit meine ich Zeitungen oder Fernsehen - die meine wäre. Trotzdem habe ich das Bedürfnis, öffentlich Widerspruch einzulegen mit diesen Erfahrungen und Bezugspunkten, die wir als Ostdeutsche haben. Du kannst über die CDU-Spendenaffäre oder den Krieg reden, wie es diese Deppendorfs nie hinkriegen. Und wenn man diese Fernsehbilder genau ankiekt, kann man endlos erzählen."
Die Reihe bietet die Möglichkeit, die es im Theater nur selten gibt, diskursiv eingreifen zu können in aktuelle politische Prozesse. In Zeiten politischer Konflikte, wo, nach Kuttner, 30 Fernsehkanäle wie zwei aussehen, könnte man die Vorträge auch als neue Art von Politinformation bezeichnen. Kuttner erklärt die Lage aus seiner Sicht. Das ist mitunter politisch höchst unkorrekt. Da empfiehlt er dem FBI statt "Mc Gyver" lieber die DDR-Fernsehreihe "Du und Dein Garten" zu sehen, wo erklärt wird, wie man aus einer zerlöcherten Plasteflasche einen Rasensprenger bastelt, um sich in das Denken von Terroristen hineinzuversetzen, die mit Hilfe von Teppichmessern die Twin-Towers zum Einsturz bringen. Oder er deutet anhand eines westdeutschen Videoschnipsels aus den siebziger Jahren das Ungeschick der Grünen in der gegenwärtigen Regierung. Ein Langhaariger ("Junge Menschen, die heute die Regierung bilden") geht zum Friseur, um sich nur die Spitzen schneiden zu lassen und nebenbei den Frisur zu agitieren. Am Ende verläßt er mit einem guten Gefühl, aber extrem kurzen Haaren den Laden.


Der Erfolg der Abende ist zu einem nicht unerheblichen Teil der einer Aufklärung verpflichteten Dramaturgie zu verdanken. Bevor das Publikum den Filmausschnitt sieht, erklärt Kuttner, wortreich und mit vielen Abschweifungen, was seiner Meinung nach auf den Bildern zu sehen ist. Der Blick der sich unter dem Comedyhaften, manchmal Banalen seiner Wortkaskaden mit vielen Abschweifungen verbirgt, ist ein kulturwissenschaftlich geschulter. Kuttner hat bei Wolfgang Heise Ästhetik studiert und später eher widerwillig eine Doktorarbeit über Massenkultur verfaßt. Die Vorträge sind in ihren besten Momenten Vorlesungen ohne Manuskript. Da hält er nebenbei in zwei Minuten einen Vortrag über die Dialektik Hegels und bittet, doch nicht schon bei der These, sondern erst bei der Synthese zu lachen. "Lachen Sie nicht doof, lachen Sie intelligent und qualifiziert." Kuttner hat Mitte der achtziger Jahre nach sieben Jahren die Uni verlassen, weil die Kulturwissenschaft ihm zu weit ab war von der Realität. Über Umwege als Mitarbeiter des Verbandes Bildender Künstler, Redakteur der Ost-taz und
Conferencier der Bolschewistischen Kurkapelle ist er schließlich doch wieder bei der Massenkultur gelandet. Seit fast zehn Jahren ist er auf der Jugendwelle FRITZ Moderator der Sendung "Sprechfunk", inzwischen der dienstälteste Moderator der Berliner Sender, dessen Zuhörer nach einer extremen Verjüngung des Senderkonzepts nicht mal mehr volljährig sind. Gesucht hat er sich seine Tätigkeiten nie, sie wurden ihm angeboten. "Ich wußte immer, was ich nicht wollte, aber nie, was ich wollte." Manchmal hat man als Zuschauer den Eindruck, daß sich hinter der großsprecherischen Ironie ein im Grunde verletzbares und verletztes Individuum verbirgt, das aus Notwehr agiert.

Kuttner im Westen
An der Volksbühne tritt Kuttner einmal im Monat zum Heimspiel an, auch wenn jedesmal rund ein Drittel des Publikums zum ersten Mal die Veranstaltung besucht. Inzwischen hat er sich selber ausgewildert. In regelmäßigen Abständen hält er seinen Videoschnipselvortrag in Schwedt, in der östlichsten Ecke Deutschlands. In den letzten beiden Sommern war er Gast der Rollenden Road Show der Volksbühne. Da war er näher am Publikum, und das Publikum zog den Dialog dem Monolog vor. Da flog schon mal ein Gegenstand auf die Bühne oder ein Betrunkener versuchte, Kuttner aus der Fassung zu bringen (siehe tdz 9/01). Im Westen Deutschlands nahm man lange Zeit keine Notiz von ihm, auch wenn Außenstehende erwarten, daß Theater untereinander kommunizieren. Erst nachdem die Rollende Road Show auf der EXPO in Hannover gastierte, wurden Veranstalter im Westen aufmerksam.
"Einmal habe ich in Hannover bei der Kestner-Gesellschaft einen Videovortrag gehalten. Das ist so ein richtig bürgerlicher Verein, im Café hängen Fotos mit Gerhard Schröder und Rau und Beuys und Warhol, jeder Garderobenhaken ist dort designt. Ich trat im Kinosaal auf, und da saßen alle schwarzgekleidet mit randloser Brille, kurzgeschorenes graues Haar, und die waren die erste halbe Stunde völlig paralysiert, die dachten, da fährt ein T 34 in ihre Welt, aber dann kippte das irgendwann und sie verloren die Kontrolle über sich. Zum Schluß hatte ich die Lacher auf meiner Seite. Ich kann schon verstehen, daß die Leute, die mich nicht kennen, erst mal verwirrt sind, wenn sie da oben einen stehen sehen, der wie ein Irrer redet, berlinert wie bekloppt und dann plötzlich mit Adornozitaten rumhantiert, da sind die dann überfordert, und das macht mir Spaß." In Frankfurt bei einem Auftritt im TAT konnte der Rezensent einer großen Frankfurter Zeitung der Veranstaltung nicht viel abgewinnen. Er behauptete, das Publikum habe sich gelangweilt. "Die ersten Kritiken in Berlin waren auch so verunsichert, wo die Rezensenten dann immer so tun, als wüßten sie das viel besser als ich. Wo du merkst, daß du so eine Verunsicherung bei den Journalisten triffst, deren Beruf ja Besserwissen ist und dann sehen die da vorne einen noch größeren Besserwisser."
Sein vorerst letzter Auftritt im Westen fand Mitte November in München statt. Kuttner hatte den Auftrag, das Repertoire der Kammerspiele mit Hilfe der Videoschnipsel aus medialer Sicht zu interpretieren. Sarah Kanes letztem Stück 4.48 Psychose setzte er die Geschichte einer Narvaarbeiterin entgegen, die zehn Minuten nach 4.48 Uhr aufsteht und zur Schicht geht, der Heldin Alkestis eine westdeutsche Hausfrau. Entgegen seiner Erwartung wurde der Abend ein Erfolg und soll zu einer Reihe mit dem Titel "Kuttners Kammerspielkommentar" werden.
Sich eine eigene überschaubare Öffentlichkeit im Theater zu schaffen, hält Kuttner für den besseren Weg, als in der westdeutschen Medienöffentlichkeit den Repräsentationszoni zu geben. "Toll wäre es ja, wenn man an der Volksbühne hinkriegen könnte, jedes Thema, das in der Christiansen-Sendung am S nntag verhandelt wird, zwei Tage später an der Volksbühne mit anderen
Leuten zu machen. Das wäre ein ganz anderes Reden über die Dinge."



Anhang: Ausschnitt aus dem XXX. Videoschnipselvortrag am 31.10.2001
Am 7. Oktober 2001 gab Gerhard Schröder vor laufenden Kameras eine
Regierungserklärung ab. Die Sendung lief in der Tagesschau und drei Wochen später noch einmal in der Volksbühne. Seine Interpretation der Bilder lieferte Jürgen Kuttner, bevor das Publikum den Videoausschnitt sah:
"Jetzt kommen wir zu einem Videoausschnitt, den man eigentlich zweimal sehen müßte, weil er einerseits auf der weltgeschichtlichen Ebene interessant ist, aber andererseits noch viel mehr erzählt. Gerhard Schröder, unser aller Bundeskanzler, mit seinem Freund Joschka Fischer im Doppelpack, und beide so total staatsmannmäßig: "Iss Kriech!" Siebenter Oktober, die Amis haben angefangen zu bombardieren, Regierungserklärung von Schröder, der steht vorn. Es ist interessant, genau zuzuhören, was er da sagt. Ick hab neulich gehört, wie der damalige amerikanische Präsident Truman im August 1945 eine
Regierungserklärung zum Abwurf der Atombombe in Hiroshima hielt und behauptete, was ick eine raffinierte rhetorische Formel fand, Hiroshima wäre eine "military base". Ähnliche semantische Schlenker schafft Schröder ooch. Es ist 7. Oktober, DDR-Geburtstag, also kommt alles zusammen: Krieg wird erklärt, DDR hat Geburtstag - zwei weltgeschichtliche Katastrophen quasi an einem Datum. Gleichzeitig steht hinter ihm, und da ist das Video genau geteilt und man kann nicht beides gleichzeitig wahrnehmen, Joschka Fischer, und bei dem klingelt das Handy, mitten in die Rede rin. Und da sieht man im Gesicht Fischers quasi Mentalitätskabul, total 'ne Trümmerwelt. Der steht da, hört das Handy klingeln, denkt, jetzt steh ich hier vorne, alle kieken hier vor, ick bin im Bilde. Ick könnte det jetzt einfach ignorieren, aber wer weeß, wie lange der Idiot anruft, da is die janze Rede vergackeiert, ja. Das dauert schon fünf Sekunden. Er steckt also die Hand in die Tasche, fummelt da rum und versucht, das Handy auszukriegen, gelingt ihm nicht, also nimmt er es aus der Tasche, und nebenbei wird die ganze Zeit der Krieg erklärt. Er kann aber, und das scheint ein bedingter Reflex zu sein, das Handy nicht rausnehmen, ohne aufs Display zu kieken. Das ist in diesem Fall aber die unpassendste Situation dafür. Also, egal wer anruft, das kann nur ein Subordinierter sein, weil der Chef ja neben ihm steht, und dann nimmt er 's nach hinten, es klingelt immer noch und man weiß nicht, ist das jetzt noch seins oder ein anderes aus dem Publikum. Vorne siehst du, wird der Krieg erklärt und hinten kämpft Fischer blind mit so'nem talibanischen Handy, während er versucht, Zustimmung zur Regierungserklärung zu signalisieren mit so einem Gesichtsausdruck wie "Alles Leid der Welt lastet auf meinen Schultern", während Schröder relativ bei sich ist. Aber was außerdem noch extrem tief blicken läßt, ist der Klingelton. Is klar, Fischer hat ein Siemens-Handy, und dann kiekt man nach, Toccata in Fuge d-moll, Bach, also gewissermaßen die proletarische Variante von klassischer Musik, gibt keenen, ders nich kennt. Und da habe ich jetzt also auf dem Handy nachgekiekt, da gibt's fünf Standardruftöne, 18 klassische und fünf, die als relativ diskret beschrieben werden. Also Fischer hätte sich ja als Außenminister für einen diskreten Ton entscheiden können, nö, nö, laß mich mal einen klassischen nehmen. Und von den klassischen ist es dann auch gleich der allerallererste klassische Ton, danach kommen noch 17. Also er hätte jetzt aufmerksam durchhören können und sich nach Gemütslage entscheiden können, aber nee, und das ist jetzt so eine Selbstbeschreibung, er nimmt den ersten klassischen. Und dann haben wir gleich mal nachgekiekt, was es so mit diesem Klingelton auf sich hat. Da ist es auch wieder eine extrem interessante Musik. Bach, noch relativ jung, war angestellter Organist in Arnstadt. Und war andererseits, wie wir so heute Kurt-Cobain-mäßig totaler Fan von Buxtehude, der so rumgeorgelt hat. Und hat sich dann vier Wochen Urlaub genommen und ist zu Buxtehude gefahren und ist erst nach einem Vierteljahr wiedergekommen, sogar Weihnachten war er nicht da. Als er zurückkommt, wird er rausgeschmissen und schreibt das berühmte Orgelstück. Es ist also eine Art Arbeitslosenblues und gleichzeitig aber im Grunde - wir sind alle Amerikaner - eine Erklärung bedingungsloser Solidarität mit Buxtehude. Und genau in dem Moment wo die bedingungslose Solidarität mit Amerika erklärt wird, klingelt auf seinem Handy die Hymne bedingungsloser Solidarität mit Buxtehude. Da treffen sich Welt- und Musikgeschichte aufs Sympathischste. Und wo: Im Fernsehen. Aber begriffen werden kanns dann nur wieder hier."


Annett Gröschner (Theater der Zeit, 12/01)
www.moskauereis.de



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